Nachhilfe in Evolution
Text: Sandra Cantieni
Täglich erreichen uns Apelle zu mehr Bewegung. In der Presse, am TV, in den Sozialen Medien und Blogs scheint das Thema extrem im Trend zu liegen. Ich sehe mir viele Artikel zu Bewegung und Fitness an und denke oft: "Wissen die, was sie tun?". Etliche gut gemeinte Tipps muten für mich an wie TÜV-Tests vom Typ "Wie viele Kraftakte und stupide Wiederholungen ertragen meine Gelenke?"
Derzeit ganz häufig zu lesen: Sitzen sei schlecht, Sitzen sei das neue Rauchen. Wir sollen weniger sitzen und eben, uns viel bewegen. Je mehr, desto besser. Immer mehr Menschen verdienen ihren Lebensunterhalt im Sitzen, eine furchtbare Botschaft für einen großen Teil der Erwerbstätigen. Die Einsichtigen gehen direkt vom Büro in ein Trainingsstudio und versuchen exzessiv, den Bewegungsmangel des Arbeitstages zu kompensieren.
Benita Cantieni hält dagegen: Nicht mehr, sondern besser bewegen! Besser sitzen! Auf die Qualität kommt es an: "Jede Haltung, jede Bewegung, jede Position kann mit Wahrnehmung und Qualität beseelt werden. Auch das viel geschmähte Sitzen: Es lässt sich auf jedem Stuhl und Fauteuil körperfreundlich sitzen. Und wenn Sie körperfreundlich sitzen, so trainieren Sie die Knochen und Muskeln."
Wer ist Benita Cantieni? Was legitimiert sie zur Expertin für Körper, Haltung und Bewegung?
Alles fing mit Schmerzen an. Eine Skoliose engte Benita Cantieni schon seit der Kindheit in ihrer Bewegungsfreit ein und nahm ihr buchstäblich die Luft, die Verkrümmung des Rückgrats ging einher mit chronischen Luftwegerkrankungen. Keine Therapie half langfristig, obschon sie allen Therapien und Methoden auf den Grund ging.
Sie vertiefte sich in die Alexander-Technik, die Feldenkrais-Methode, beschäftigte sich mit dem Therapieansatz von Katharina Schroth, suchte Linderung durch Yoga, Neuraltherapie, Kinesiologie, Neurofeedback – kaum eine Denkrichtung, mit der sich Cantieni nicht befasst hat. Mitte der Neunzigerjahre kamen die Callanetics-Bücher und -Videos von Callan Pinkney auf den Markt. Die Trainingsmethode war anfangs hilfreich. Es war und ist Cantienis Art, ganze Sachen zu machen: Sie flog nach USA, wurde Senior Master Teacher, und baute eine Kette von Callanetics-Studios auf. Je mehr sie sich autodidaktisch in die anatomischen Zusammenhänge vertiefte, desto mehr entfernte sie sich von Callanetics.
Erste Weiterentwicklungen brachte Cantieni als Autorin im Buch „New Callanetics“ ein, dann kam es zum Bruch mit dem US-Management der amerikanischen Methode. 1998 ließ Benita Cantieni ihre eigene Methode offiziell eintragen unter der Markenbezeichnung „CANTIENICA® – Methode für Körperform & Haltung“. Aus der Begegnung mit dem Mediziner Dr. Christian Larsen, der zur selben Zeit die Spiraldynamik begründete, ergaben sich zwar wichtige Impulse, in den Prämissen zeigten sich jedoch signifikante Unterschiede. Benita Cantieni verzichtete auf den Luxus des etablierten universitären Rückhalts zugunsten der Unvoreingenommenheit und Freiheit, die Dinge anders zu betrachten als es die traditionellen Strukturen erlauben. Darin besteht vielleicht Cantienis überragende Leistung, die Frau traut sich was.
Wie kommt es, dass eine renommierten Journalistin Körperforscherin wird?
Anfangs stand für Benita Cantieni die eigene Gesundheit im Fokus, das Streben nach Schmerzfreiheit. Ausdauer, Neugier, Disziplin und pure Logik führten sie zu genau diesem Ziel. Ihre Beharrlichkeit führte zum ersehnten Körperglück. Und diese, ihre Geschichte wollte sie erzählen, und so schrieb sie ihr erstes Buch. Es schlug ein wie ein Bestseller. Mit „Tiger Feeling – das sinnliche Beckenbodentraining“ und „Tiger Feeling garantiert!“ revolutionierte Benita Cantieni das Beckenbodentraining. Die Muskelgruppe in der Leibesmitte tut entschieden mehr als was der angebliche Erfinder Arnold H. Kegel herausfand. Die sogenannten Kegelübungen erweisen sich in vielen Fällen als kontraproduktiv, in den meisten Fällen als nutzlos. Benita Cantieni war die erste Autorin, die den Beckenboden als dreilagigen Muskelverbund beschrieb und Illustrationen davon in Umlauf brachte. Ihr war sonnenklar, dass diesem horizontalen Muskel im Hochhaus Mensch große Bedeutung zukommt, in ihrem Glossar nennt sie den Levator ani „Organheber“, das Multitalent in der Körpermitte ist ein Katapult für Aufspannung und Tonus.
Das Echo auf den Tigerfeeling-Erstling war fulminant, es hagelte Fanpost, hunderte Menschen fragten sie um Rat. Schnell erkannte Benita Cantieni noch eine ganz andere, spezielle Begabung: die Berührung, das Coachen. Sie erlebte, dass Menschen, denen sie begegnete, von ihr lernten, sie nachahmten. Nach und nach wurde ihre Körperkompetenz zur Berufung. Das Interesse an der Trainingsmethode beschränkte sich nicht auf die Schweiz, Berlin mauserte sich zur CANTIENICA®-Hochburg. Benita Cantieni erarbeitete mit ihrem Team ein Aus- und Weiterbildungskonzept und so entstanden die thematischen, aufeinander abgestimmte Module. Inzwischen gibt es in 16 Ländern Frauen und Männer, welche die CANTIENICA®-Methode unterrichten. Trend steigend.
Was ist das Besondere an der CANTIENICA®-Methode?
Etliche verschiedene Aspekte unterscheiden die CANTIENICA®-Methode von anderen Bewegungskonzepten. Ganz wichtig ist die Achtsamkeit dem eigenen Körper gegenüber. Wer sich selber die Zeit nicht wert ist, auf den Körper zu hören und ihm das zu geben, was er braucht, wird früher oder später ein Opfer der Schwerkraft. Sie zieht ihn runter, sowohl physisch als auch psychisch. Umgekehrt ist die CANTIENICA®-Methode ein wunderbares Werkzeug, diese Wertschätzung sich selber gegenüber zu lernen. Mit der Aufrichtung und Aufspannung wächst das Gespür für die eigenen Bedürfnisse, viele Menschen lernen durch die Methode den eigenen Körper schätzen und lieben. Das Resultat ist eine gesunde Selbstliebe. Wer sich selbst liebt, schaut gut zu sich.
Die CANTIENICA®-Methode arbeitet im Mikrobereich, kleine, exakte Pulse gehen der Tiefenmuskulatur ans Eingemachte. Mit bloßem Auge sieht ein Training relativ ruhig und statisch aus, der Schein trügt. In den knochennahen Muskeln geht die Post ab. Als Reaktion auf das Training fangen die Muskeln an zu vibrieren, diese Körpersensation ist anfangs typisch und hält nach einer intensiven Lektion noch eine Zeitlang an, legt sich aber, sobald die inaktiven Tiefenmuskeln geweckt sind. Eine typische Reaktion ist: „Ich hatte keine Ahnung, dass da Muskeln sind!“
Mikropräzise sind auch die CANTIENICA®-Atmungen, Benita Cantieni setzt die Atmung als Kommunikationsmittel zwischen den Knochen ein. Ein genialer Einfall. Durch die Atmung verbindet sie gedanklich die Knochen in Luftlinie, schnurgerade. Die Muskeln, Faszien, Bänder und Sehnen orientieren sich an der Richtung des Atems. Die Wirkung ist sensationell, muss man erleben.
Das akribische Wording bei der Anleitung der Übungen und das speziell entwickelte CANTIENICA®-Coaching resultieren an sich aus den vorherigen Ansprüchen: Wie kriegt man andere Menschen dazu, sich selber wirklich zu spüren? Wie bringt man Menschen auf den Weg, der eigenen Wahrnehmung zu vertrauen? Wie bringt man kreatürliche Glücksmomente an die Frau und an den Mann?
Vielleicht erschließt sich hier das große Geheimnis, wie und warum aus einer topverdienenden Journalistin eine Frau wurde, die ihre ganze Energie in eine neue Fitnessmethode steckt. Die ausgeklügelten Formulierungen resultieren aus Cantienis herausragender Sprachkompetenz, die minutiösen Anleitungen der einzelnen Übungen und Übergänge sind einzigartig. Cantieni überlässt nichts dem Zufall. Was eine überragende Stärke der CANTIENCA®-Methode darstellt, ist gleichzeitig mit die größte Hürde für viele Menschen. Die ungewohnten Formulierungen erzeugen bei vielen Leser/innen im ersten Moment Widerstand. Nicht wenige berichten, sie hätten das Buch erst einmal wütend im Regal verstaut und erst nach langer Zeit wieder hervorgeholt. Wer willens ist, die Anleitungen genau zu befolgen, kann durchaus die CANTIENICA®-Methode aus den Büchern lernen.
Weil die Anatomie in einigen Bereichen nicht mit den leibhaftigen Erfahrungen übereinstimmen, entwickelt Benita Cantieni einen Gegenentwurf, die „Vivatomie“, eine Wortschöpfung, die schon andeutet, dass ihre Lehre vom Lebenden abgeleitet ist, im Gegensatz zur Anatomie – die Aufzeichnung von aufgeschnittenen, sprich toten Körpern. Wissenschaftlich gesehen durchaus angemessen, denn ihre Thesen und Schlüsse sind für jedermann und jede Frau überprüfbar. Tausende Rückmeldungen bestätigen die Wirksamkeit, Menschen mit und ohne vorherige Beschwerden berichten von ihren positiven Erlebnissen, nachlesbar im CANTIENICA®-Forum.
Was sind denn die Thesen, die in der Fitnessbranche noch eine neue Methode rechtfertigen?
Eine zentrale Prämisse in Cantienis Körperanschauung lautet: Die gesunde Wirbelsäule ist gerade. Und das allen anatomischen Darstellungen zum Trotz, Sie werden keine einzige Abbildung finden, in der die Wirbelsäule nicht
s-förmig gekurvt ist. Die S-Kurvigkeit scheint sakrosankt zu sein, in Stein gemeißelt.
Die gerade Wirbelsäule ist Querdenke in Reinform. Vom Stellenwert vielleicht ungefähr so wie damals, als Aristoteles auf Grund von Beobachtungen herausfand, dass die Erde rund sein muss. Noch bis ins Mittelalter hielt man an der Scheibenform fest, erst mit der Erdumrundung Magellans wurde die Kugelform als bewiesen akzeptiert. So lange scheint’s, braucht die Menschheit zum Umdenken.
Für Benita Cantieni ist die Skepsis der traditionellen Medizin kein Grund, sich beirren zu lassen. Schließlich sieht man bei jedem Kleinkind, dass die Wirbelsäule am Lebensanfang nicht krumm ist. Und außerdem geht die Grundannahme mit einer logischen Überlegung konform: eine gerade Wirbelsäule ist statisch gesehen ideal, ähnlich einer tragenden Säule in einem architektonischen Bauwerk.
Wenn der liebe Gott den Menschen tatsächlich aus Lehm geformt hätte, wäre die Wirbelsäule wahrscheinlich eindeutig gerade herausgekommen. Die Entwicklungstheorie ist jedoch wahrscheinlicher und daraus resultiert eine plausible Erklärung für die Abweichungen vom Ideal. Die Evolution, während der sich die Spezies Mensch seit Jahrmillionen nach und nach vom Vierfüßer zum Zweibeiner entwickelt, ist noch nicht abgeschlossen. Die gute Nachricht: der vollständigen Entwicklung kann nachgeholfen werden. Mit der CANTIENICA®-Methode. Das jedenfalls ist das erklärte Ziel: die perfekte Aufrichtung, die perfekte Bewegungsökonomie. Das Ende der schmerzhaften Abnützungen im Hüft- und Schulterbereich, dank menschgerechter Körpernutzung.
Was spricht für diese kontroverse These der geraden Wirbelsäule?
Ganz Vieles spricht für die gerade Wirbelsäule. Die Erfahrungen, die Menschen machen, die entgegen aller Prognosen ohne Rückenoperation davon kommen, indem Sie lernen, ihre Schmerzen als Kompass wahrzunehmen, der ihnen zeigt, was ihr Körper braucht. Und diese Richtung beharrlich verfolgen. Ohne Umdenken, Umgewöhnen, Umtrainieren ist Heilung nicht möglich. Mit aber schon.
Die Zunahme an Prothesen ist eklatant, und der Mensch nimmt das einfach so hin. Die explodierenden Gesundheitskosten müssten alarmieren. Aber nein, der Mensch nimmt Altersbeschwerden, Abnutzungserscheinungen an den Gelenken als gottgegeben hin. Begibt sich in Abhängigkeiten von Apparaten, Ärzten und Medikamenten. Für die Gesundheitsindustrie sind Patienten ein lukratives Geschäft. Die Autorität ist indessen so groß, dass sich nur wenige trauen, sich dem Rat eines Arztes zu widersetzen. Das ist auch zweifellos eine schwere Entscheidung.
Deshalb setzt die CANTIENICA®-Methode bei der Provention an, bei der Erhaltung der Gesundheit. Idealerweise sollten Kinder und Jugendliche nicht erst in schlechte Gewohnheiten verfallen. Leider sind die Erwachsenen nicht sehr gute Vorbilder. Zeit, es zu werden, nicht nur dem Nachwuchs zuliebe, Sie tun sich selber einen Gefallen. Mehr Lebensenergie, mehr Bewegungsfreude, Schönheit von innen und außen.
