Ziel der CANTIENICA®-Methode ist Schmerzfreiheit. Der Weg dahin ist manchmal – schmerzhaft. Wer 47 Jahre (25 Jahre, 75 Jahre) an einer Skoliose (Arthrose, Stenose) gelitten hat, kann nicht von heute auf morgen den Körper schmerzfrei umbauen. Verkürzte Muskeln, Sehnen, Bänder können durchaus Reaktionen auslösen, die Angst machen. Deshalb handelt dieses Kapitel von nützlichen und überflüssigen Schmerzen, von »Pfuiwehs« und »Gutwehs«, von Warnschmerzen und Entwicklungsschmerzen. Damit Sie die Sprache Ihres Körpers entziffern können, den Schmerz als klein oder groß, wichtig oder unwichtig, richtig oder falsch einordnen können, damit Sie die Schmerzen als das sehen können, was sie eigentlich sind: Bodyfeedback.
Ein Mensch kommt zu mir, um mit seinem Körper zu arbeiten. Ich nenne ihn mal Kaspar. Kaspar ist 35 Jahre alt und leidet unter einer stark verkrümmten Wirbelsäule. Er hat tagein, tagaus Schmerzen. Am Becken. Zwischen den Schulterblättern. Eines der Schulterblätter steht auch vom Rücken ab. Kaspars Schultern sind chronisch hochgezogen, er hat oft Kopfschmerzen.
Beim ersten Interview befrage ich Kaspar zu den Schmerzen an den unterschiedlichen Körperstellen. Ist es Knochenschmerz, Sehnenschmerz, Muskelschmerz, Stechschmerz, Dumpfschmerz, Ziehschmerz?
»Woher soll ich das wissen?«, sagt Kaspar. »Schmerz halt. Schmerz ist doch Schmerz.«
Nein, ist es nicht. Doch das sage ich noch nicht. Darauf muss Kaspar selber kommen. Durch Spüren, Wahrnehmen, Vergleichen. Wir beginnen zu arbeiten. Auf einem Hocker. Kaspar richtet sich auf den Sitzbeinhöckern aus, wir richten gemeinsam das Becken auf, und schon sagt Kaspar ganz erschreckt:
»Das schmerzt.«
»Was schmerzt?«
»So sitzen schmerzt.«
»Wo?«
»Im Kreuz.«
»Hier?«
»Ja, genau.«
Ich richte die Facettengelenke zwischen Kreuzbein und unterstem Lendenwirbel aus.
»Und jetzt?«
»Jetzt ist der Schmerz weg.«
»Dann war es ein Leitschmerz. Ein richtungweisender Schmerz.«
Der Körper sagt: Stimmt noch nicht, stimmt noch nicht, stimmt noch nicht. Bis der Körper in Millimeterarbeit die gute Position gefunden hat. Weg ist der Schmerz.
Wir arbeiten uns durch den Rumpf, durch den Brustkorb, durch den Hals – Kaspar lernt schnell –, durch den Kopf, bis zum Kronenpunkt. In dieser Aufspannung übt Kaspar zehn Minuten. Dann stöhnt er und rutscht hin und her, zieht den Rücken rund und krumm und sagt: »Aber jetzt tut mir alles weh.«
Aufstehen, ein paar Schritte gehen, hinsetzen, wieder aufbauen, Sitzbeinhöcker ausrichten, Becken aufrichten und so weiter, es geht schon schneller als beim ersten Mal. Und jetzt bleiben Sie bitte in dieser Position und beschreiben Sie, was genau wehtut.«
Ja, also, es ist, ähm, hm, halt so ungewohnt im Rücken.« Ich hindere Kaspar handgreiflich daran, aus der Position zu gehen. Ich habe dafür ein paar unwiderstehliche Klammergriffe in meinem Repertoire.
Er atmet in die angeblich schmerzenden Stellen und sagt schließlich. »Jetzt ist es weg. Vielleicht war es gar kein Schmerz.«
Genau. Wahrscheinlich war es kein Schmerz. Die deutsche Sprache ist beim Schmerz arm dran. Schmerz muss für alle »Körpersensationen« herhalten, die vom gewohnten Nichts-Spüren abweichen. Dabei ist der Schmerz oft ein Segen. Eigentlich immer. Die Schmerzen sind oft und für viele Menschen die einzige Motivation, sich mit Ihrem Körper zu beschäftigen, sich mit ihm auseinanderzusetzen, ihn kennenzulernen.
Auszug aus dem Buch "Tigerfeeling für den Rücken für sie und ihn" von Benita Cantieni.
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